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Bücher in soziale Netzwerke

Das Bücherregal hat ausgedient. Bücher stehen in der Cloud, werden online gelesen. Dann können Gefühle und Gedanken zu den Büchern auch gleich in Echtzeit in die social networks eingespeist werden.

In social reading communities wie Readmill oder Goodreads kann jeder sehen, welche Bücher ich lese, was ich markiert habe und ob ich, wie Petra, in zehn Stunden am Stück durch Nabokovs “Lolita” gerast bin. Der Sony Reader streamt meine Unterstreichungen in Echtzeit auf Facebook, Amazon Profiles teilt meine Anmerkungen mit anderen Lesern und der Kobo Reader wertet mein Leseverhalten statistisch aus.

Bunte Grafiken zeigen an, zu welcher Uhrzeit ich bevorzugt lese oder wie viele Seiten ich pro Stunde schaffe. Mithilfe moderner Trackingtechnologien wird mein Leseverhalten überwacht und ich kann meine Produktivität mit anderen vergleichen. „Der Durchschnittsbürger liest in seinem Leben weniger als 100 Bücher,“ heißt es auf der Kobo-Website. „Wie viele haben Sie gelesen?“

„Wie viele haben Sie gelesen?“

Früher war man froh, mit Zigarette und Stehlampe in Ruhe lesen zu können …

Dass ich im Internet mit anderen Leuten über Bücher rede, ist nichts Neues. Jetzt aber soll ich mit anderen kommunizieren, während ich noch lese. Wenn ich einen Satz unterstreiche oder eine Notiz mache, dann liest die Welt mit. Das mag ein bisschen peinlich sein, wenn ich die schärfsten Stellen in „Fifty shades of grey“ unterstreiche oder missverständlich, wenn ich Überlegungen zur Technik des Selbstmords anmerke. Und dass all diese Randnotizen für die Verlage Gold wert sind, braucht man ja schon fast nicht mehr zu erwähnen.

Henrik Berggren, einer der Mitgründer der social reading Plattform Readmill, versteht die Zweifel. Fernsehen kann man auch zu zweit, aber Lesen geht doch nur allein.

“Es wird viel darüber geredet, wie Leute beim Fernsehschauen sozial sind, aber beim Lesen ist das eine sehr schlechte Idee. Um eine Story zu lesen, musst du zu einhundert Prozent fokussiert auf den Text fokussiert sein und kannst nicht mit Freunden kommunizieren.”

Henrik Berggren

Lesen heißt, sich von der Welt zurückzuziehen und die Stricke zu kappen, die uns an den Alltag binden. Das Buch ist das Schutzschild, das ich mir auf der Bahnfahrt vors Gesicht halte, das Ticket in eine andere Welt. Genau dieses Erlebnis ist bedroht, wenn ich nicht mehr bloß im Lesefluss treiben kann, sondern auch noch den Stream bedienen muss, den die Community mir pausenlos abverlangt. Dem sozialen Netzwerk Readmill geht es weniger um social als um shared reading, also darum, nach dem Lesen sein Erleben zu teilen.

Shared statt social reading

Bob Stein sieht das etwas gelassener. Er ist der Gründer des Institute for the future of the book und so eine Art Che Guevara des Buchmarkts. Er glaubt, dass das Lesen, wie wir es bislang kennen, Geschichte ist.

“Das Lesen wird in der Zukunft sozial sein. Die Idee, dass du für dich selbst liest, wird verschwinden und du wirst dir in jedem Moment bewusst sein, dass du mit anderen Menschen verbunden bist, während du liest. Überfliegen wird ein gängiger Modus werden. Die Idee, dass du da sitzt und ein paar hundert Seiten liest, wird verschwinden. Der dreihundertseitige Roman ist eine alte Form.”

Bob Stein

Bob Stein will das Buch zu einem Ort machen, in dem sich die Stimmen der Leser, Experten und Autoren vermischen. Was sich verändert, wird nicht bloß das Medium sein, so wie der Übergang vom Kaffeefilter zum Vollautomat, bei dem am Ende aber doch noch Kaffee rauskommt. Das Buch der Zukunft wird kurz sein, an den Seiten ausfransen und das Lesen wird weniger einem Versinken gleichen als einem Herumschweifen und Flanieren.

Dass damit etwas Ursprüngliches verloren geht, glaubt er nicht. Es sei von Anfang an eine schlechte Idee gewesen, Ideen in Bücher zu stecken und sie damit aus dem Gespräch herauszunehmen. Die Menschen in der Zukunft, sagt er, werden erstaunt sein, dass das Lesen einmal nicht sozial war.

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